Unsere Emotionsregulation nach Paul Gilbert

Emotionen regulieren durch ein besseres Verständnis unserer Motivationen

Der Professor für Klinische Psychologie und Begründer der Compassion Focused Therapy Paul Gilbert hat aus einer Reihe von Forschungserkenntnissen ein vereinfachtes Modell entwickelt, das besonders für das Verständnis unserer Emotionsregulation und Stressbewältigung ein hilfreiches Erklärungsmodell darstellt. Demnach können unsere Motive drei unterschiedlichen Systemen zugeordnet werden: Dem Bedrohungssystem, dem Antriebssystem und dem Beruhigungssystem.

Unser Bedrohungssystem lässt uns, wie der Name schon zum Ausdruck bringt, Bedrohungen und Gefahren erkennen und auf sie reagieren. Gefühle wie Angst, Unruhe, Wut oder Ekel sind damit verbunden und sind allesamt Gefühle, die uns ursprünglich vor Lebensgefahren warnen wollen. Diese unangenehm empfundenen Gefühle helfen unserem Körper, uns für Kampf oder Flucht vorzubereiten und sich im „Ernstfall“ rasch aus der Gefahrenzone zu bringen. Dabei ist unser sympathisches Nervensystem aktiv, die Stresshormone Cortisol und Adrenalin werden ausgeschüttet.

Evolutionär betrachtet war es in jedem Fall besser, das Rascheln im Busch tausende Male fälschlicherweise als den lebensgefährlichen Säbelzahntiger wahrzunehmen, als ihn nur ein einziges Mal zu überhören, denn dann waren wir: gefressen!

Dieses Ungleichgewicht sorgt heute jedoch für jede Menge Probleme für unser Wohlbefinden. Das Bedrohungssystem kann uns rasch in einen Angstmodus versetzen, selbst wenn das Ausmaß der realen Gefahr gar nicht mit der Angst deckt, die in uns ausgelöst wird. Häufig tendieren wir nämlich dazu, Gefahren zu überschätzen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit allzu rasch auf Bedrohliches und Negatives und blenden dabei Neutrales oder Positives gerne völlig aus. Unser „neues Gehirn“ kommt uns zusätzlich noch mit seiner Fantasie und der Fähigkeit des Nachdenkens und Grübelns in die Quere und wir beschäftigen uns dann gedanklich und emotional häufig noch wesentlich länger mit einer bedrohlichen Situation als sie real eigentlich existiert.

Unser Antriebssystem ist aktiv, wenn wir mit Nahrungs- und Partnersuche und unserem Streben nach Erfolgen aller Art beschäftigt sind. Es motiviert uns, jeden Tag zur Arbeit zu gehen, um ausreichend Geld für Essen und Miete zu verdienen und spielt eine wichtige Rolle bei Partner*innensuche und Familiengründung. Es lässt uns zudem aktiv Beziehungen aufbauen und diese pflegen und sucht stets nach Anreizen, Belohnung, Ressourcen und Befriedigung. In unserer westlichen und kapitalistischen Leistungsgesellschaft spielt das Antriebssystem eine zentrale Rolle.

Unser Antriebssystem sorgt ebenfalls für die Aktivierung unseres sympathischen Nervensystems, sorgt für Ausschüttung von körpereigenem Dopamin und der Bereitmachung von Muskel und Herz für Aktivität und Handlung. Aktivität, Streben und Konsum sind hier zuhause. Die daraus resultierenden positiven Gefühle beim Erreichen unserer Ziele sind häufig kurzlebig. Vermeintlich positive Gefühle wie Begeisterung und Hochgefühle können langfristig sogar Schaden anrichten, da sie das vegetative Nervensystem überstimulieren können, wenn wir nicht mehr zu Ruhe kommen. Die Schattenseiten des Systems sind Gier, Machtmissbrauch sowie alle Arten von Süchten.

Glücklicherweise sind wir auch noch mit einem dritten System ausgestattet, das uns Ausgleich ermöglicht: dem Beruhigungs- und Bindungssystem.

Dieses System wird aktiviert, wenn Gefahren gebannt und Bedürfnisse gestillt worden sind. Es ist Quelle für Zufriedenheit sowie Gefühle des Wohlbefindens, der Sicherheit und der Verbundenheit. Dieses System steht mit unserem parasympathischen Nervensystem in Verbindung und lässt uns innerlich zur Ruhe kommen (vgl. Gilbert & Choden, 2014).

Die damit verbundenen Gefühle sind ebenfalls positiv, allerdings weisen sie eine andere Qualität auf, als jene des Antriebssystems und dauern länger an, dazu gehören Wärme, Ruhe, Zufriedenheit und Wohlbefinden. In diesem System verhalten wir uns fürsorglich und freundlich, friedlich, entspannt und spielerisch. Dieses System sichert zwar nicht unser unmittelbares Überleben, Säugetiere können jedoch langfristig als Art nur dann überleben, wenn sie Fürsorge geben und empfangen und soziale Bindungen aufbauen können (vgl. Brink, 2015).

Ebendieses Beruhigungs- und Bindungssystem können wir nun gezielt durch Achtsamkeit und Mitgefühlsübungen stärken. Durch das regelmäßige Üben werden wir innerlich ruhiger, gelassener und zufriedener mit uns selbst und durch das Üben von Mitgefühl fühlen wir uns stärker mit anderen Menschen verbunden. Sympathisches und parasympathisches Nervensystem werden ausgeglichen. Auch unsere Körperchemie reagiert entsprechend: Der schmerzlindernde Botenstoff Endorphin und das Bindungshormon Oxytocin sorgen für gute Gefühle, sie gelten beide als Glücklichmacher.

In unserer stressgeplagten und reizüberflutenden Welt finden wir häufig nur mehr schwer einen Zugang zu unserem Beruhigungssystem. Das Verbinden mit unserem Atem sowie das Kultivieren von fürsorglichen und liebevollen Handlungen (auch dir selbst gegenüber), wie wir das in der Achtsamkeits- und Mitgefühlspraxis tun, können deine Herzfrequenz und deinen Blutdruck senken und dich körperlich und geistig zur Ruhe kommen lassen. Damit kannst du Gefühlen der Bedrohung oder des übermäßigen Antriebs ein heilsames Gegengewicht bieten.

Um der eigenen Emotionsregulation auf die Spur zu kommen, lohnt es sich, die drei Systeme in deinem eigenen Leben etwas näher zu erforschen, du kannst dich diesen Frage generell nähern oder sie zum Beispiel eine Woche lang ganz gezielt erforschen:

Wie häufig ist mein Bedrohungssystem aktiviert? Wodurch?

In welchen Bereichen meines Lebens ist mein Antriebssystem aktiv?

Welches Repertoire habe ich, um mein Beruhigungssytem zu nähren?

Wie ausgeglichen sind die drei Systeme in meinem Leben?

Hier geht es zu meinem aktuellen Kursangebot, in denen du systematisch dein Beruhigungssystem nähren und stärken kannst!

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